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Heimatjournal
01 Oktober, 2022

4 Min. Lesezeit

Annemarie Weinberg

„Meine Seele und mein Herz wohnen jetzt hier in der Rhön”

Es ist ein herrlicher Tag mit viel Sonnenschein, als wir Annemarie Weinberg zu unserem Interview im Kurpark am Kurhaus Hotel in Bad Bocklet treffen. Wir fühlen uns sofort wohl und spüren die beruhigende Wirkung, die der Kurpark mit dem angrenzenden Kurhausgebäuden auf uns hat. Frau Weinberg empfängt uns herzlich und erzählt uns einige Geschichten aus ihrem Leben. Frau Weinberg ist auf einem Bauernhof in Niederbayern aufgewachsen. Durch die Gastronomie ist sie seit ihrem 18. Lebensjahr in der Welt unterwegs – mit Stationen vom Wendelstein/Bayern bis Baden-Baden, Frankreich, Italien, Spanien, Ibiza, Formentera, Schweiz und Sylt. Als Stewardess auf einer Privatjacht lernte sie ihren Mann kennen und lieben. Seit 1989 ist Frau Weinberg hier in der Rhön zu Hause. Mehr als 25 Jahre waren sie und ihr Mann selbstständig, zuerst mit einem kleinen Landhotel, dann in der Orangerie Schloss Ramholz. Dort waren sie Gastgeber für viele Feste mit Flair und wertvollen Erinnerungen. Sie zeigten ihren Gästen die genussvollen Seiten der Rhöner Natur mit Rhön-Oliven (eingelegte Schlehen), Bärlauch- und Waldmeister-Pesto, Löwenzahn- und Holunderblütensirup. Bald konnten sie viele regionale Produzenten gewinnen. Natürlich kamen auch Ziege und Rhönschaf auf die Teller. Ab 2017 war Frau Weinberg vier Jahre lang Restaurantleiterin im Dorint Resort und Spa in Bad Brückenau. Seit diesem Frühjahr ist sie nun im Kurhaus Hotel Bad Bocklet als Restaurantleiterin tätig, wo wir mit ihr gesprochen haben.

© Kati Schulz


Steckbrief
Name: Annemarie Weinberg
Wohnort: Zeitlofs, OT Weißenbach
Alter: 59 Jahre
Hobbys: Lesen, Wein und Sprachen, Garten
Lieblingsspruch: Man lernt nie aus!


Was bedeutet Heimat für dich? 

Es klingt zwar „abgedroschen“, aber es ist wahr! Heimat ist dort, wo mein Herz wohnt! Seit 1989 bin ich hier in der Rhön daheim. Wir waren „Zugezogene“ und „Fremde“, aber wir wurden zu Freunden. Mit ganz viel Hilfe und Eigenleistung haben wir in Weißenbach ein Haus gebaut. Immer, wenn Not am Mann war, haben wir Hilfe und Unterstützung erfahren. Nachdem mein Mann 2019 starb, wurde ich gefragt, ob ich wieder nach Niederbayern ziehen würde. „Niemals!“, habe ich gesagt, denn meine Seele und mein Herz wohnen jetzt hier in der Rhön.

Wenn du an deine Heimat denkst, denkst du an ...

... an gemütliche Runden mit Freunden und Dorffeste, wie die Kirmes. Oder sei es nur ein kleiner Plausch mit den Nachbarn auf der Hunderunde. 

Annemarie Weinbergs Lieblingsausblick im Kurpark Bad Bocklet © Kati Schulz

© Kati Schulz

Was liebst Du an deiner Heimat besonders?

Die Symbiose zwischen Natur und Mensch. Durch viel Engagement, wie Selbstvermarktung, das Biosphärenreservat und die Rhönallianz, hat sich so vieles entwickelt. Ein Blick lohnt sich immer und überall bei uns hier in der Rhön.

Gibt es einen Ort, den du lieber „Heimat“ nennen würdest?

Nein, ich liebe auf den ersten Blick die karge Schönheit der Rhön. Gerade die kleinen, unscheinbaren Dinge des Lebens schätze ich, wie die Korn- und Mohnblumen, Scharfgarben, die sich auf meinem Weg durch die Rhön am Straßenrand behaupten. Besonders mag ich die historischen Wegweiser an der Straße nach Hammelburg aus der Zeit der früheren Heerstraßen von Fulda nach Würzburg.

Kann sich Heimat deiner Meinung nach im Laufe des Lebens ändern?

Die Umstände können sich ändern, jeden Tag aufs Neue. Aber nicht das Gefühl von Heimat – das bleibt!

Was würdest du an deiner Heimat verbessern?

Die aktuellen Krisen zeigen uns, dass es Zeit wird für Umdenken und Veränderung. Wir müssen etwas tun in Sachen Lichtverschmutzung, Klimawandel, Wassernotstand und Energiesparen. Helfen können Straßenlaternen aus Solar oder Brauchwasserleitungen in Neubauten.

Inwiefern haben dich deine Wurzeln zu dem Menschen gemacht, der du heute bist?

Ich bin auf einem Bauernhof im Rottal, Niederbayern aufgewachsen. Gelebte Pflicht und Tradition war, dass die Tiere zuerst versorgt werden mussten. Leben mit der Natur und den Erntezeiten war Usus. Damals waren wir nahezu „Selbstversorger“ mit Hausschlachtung, Wurst Senf und Butter machen, Schwarzgeräuchertem, Surfleisch und Sauerkraut einlegen, Brot backen, Obst und Gemüse einkellern und einkochen. Oder einfach nur saisonal genießen, wie gebackene Holunderblüten oder Holunderbeeren-Kompott mit Schmalzgebackenem. Man mag es kaum glauben, aber auch der technische Fortschritt kam bei uns zuerst im Stall mit einer Melkmaschine ab 1962. Erst Anfang der siebziger Jahre wurden ein Fernseher und ein Telefon angeschafft. Davor hatten wir nur Radio und Zeitung. Persönliche Kontakte wurden durch „Haingarten-Besuche“ und Hausmusik mit den Nachbarhöfen, Freunden und Verwandten intensiv gepflegt. Die Pandemie hat uns eindrucksvoll gelehrt, wie sehr wir alle die persönlichen Kontakte brauchen.

Gibt es heimattypische Eigenschaften an dir?

Ich bin mit Leib und Seele Gastgeberin und das nicht nur von Berufs wegen. Empathie und ein offenes Ohr für meine Mitmenschen sind mir sehr wichtig.

Wo ist dein Lieblingsplatz in deiner Heimat?

Ich mag es, den Abend am Teich an unserem Haus ausklingen zu lassen und mit meinem Hund ins Tal Richtung Wald und Heiligkreuz zu sinnieren.

Was sollte man in deiner Heimat gesehen und gegessen haben?

Wir haben so viel Sehenswertes hier in der Rhön, man muss sich nur Zeit nehmen und hinschauen. Die Hochrhön zeigt sich mit der Einsamkeit des Schwarzes Moores, der Kreuzberg zeigt sich mit den Gegensätzen von Besinnung und Brauereibetrieb mit vielen Besuchern. Probieren muss man Kreuzbergbier und „Blaue Zipfel“.

Was muss man anderen über deine Heimat erzählen?

Ich mag Menschen und Orte mit Geschichte. 1996 zogen wir nach Weißenbach. Die Geschichten um den Blauen Turm (ältestes Gebäude, geschichtlich Restbestand der Vogtei) und die deren von Thüngen faszinierten mich von Anfang an. Erst das eindrucksvolle Fest zur 700-Jahr-Feier rund um den Schlossweiher zeigte durch Führung geschichtlich versierter Weißenbacher, wie viel Geschichte hier seit 1317 dokumentiert ist.

In welcher Jahreszeit ist es in deiner Heimat am schönsten?

Nach dem langen Winter bei uns in der Rhön freue ich mich jedes Frühjahr auf den Mai, weil da die Natur zeigt, was sie kann und alles grünt. Was nicht heißt, dass mich der Herbst mit seinen satten Farben und den Nebeltagen bei uns in der Rhön nicht auch immer wieder aufs Neue in seinen Bann zieht.

Gibt es einen Geheimtipp, den du empfehlen würdest?

Unseren Kurpark hier in Bad Bocklet. Hier kann man schön entspannen und zur Ruhe finden.

Erschienen in der Ausgabe 10/2022 (zum Heftarchiv).