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Carolin Lawin
„I am what I am”
Carolin Lawin aus Melkers hat uns im Interview viele Einblicke und Ansichten gewährt. Seien Sie gespannt!
Carolin Lawin in der Natur © Flashsmile Photografie
Steckbrief
Name: Carolin Lawin
Wohnort: Melkers
Alter: 37 Jahre
Hobbys: Schreiben - „Sinnfluencen“, Wandern, Waldbaden, Lesen, saisonabhängig Sport aller Art (Ski fahren, Laufen, Yoga, Rad fahren … alles, was draußen möglich ist)
Lieblingsspruch: „I am what I am“
Was bedeutet Heimat für dich, liebe Carolin?
„Heimat ist für mich in erster Linie nicht an einen Ort gebunden, sondern viel mehr ein Gefühl. Wir Deutschen haben eine komische Art, mit Worten und Gefühlen umzugehen. Ich glaube, dass Heimat als Gefühl viel besser lokalisierbar und spürbar wird als, als Ort. Insofern verbinde ich Heimat mit einem Gefühl von Wärme, Geborgenheit, Sein dürfen, wie ich bin und einem Gefühl von tiefer Anbindung oder Verwurzelung an meine Umgebung.“
Ich habe gesagt, dass Heimat für mich nicht an einen festen Ort gebunden ist und trotzdem habe ich mein gesamtes bisheriges Leben hier verbracht. Ich bin in Walldorf geboren, habe eine Weile in Haselbach, der Rhönblickgemeinde, gelebt und wohne inzwischen in Melkers, der Pforte zur Rhön, wie ich es gern nenne. Jeden Tag führt mich mein Weg zur Arbeit mitten hinein in die schöne Rhön. Ich liebe meinen Weg dorthin und zurück. Es ist nicht nur die faszinierende Natur und die Anziehung der Berge und Wälder um mich herum, es ist auch ein Spektakel der Wetterveränderungen innerhalb weniger Kilometer, welches mich immer wieder aufs Neue fasziniert.
Nein! Wenn ich Heimat auf einen Ort im Außen beziehen soll, dann kann ich ganz klar sagen, dass ich mich am Fuße des Melkerser Felsens sehr wohl fühle und ich hier sehr stark verwurzelt bin mit den Menschen und der Natur. Meine ganze Familie lebt hier, ist hier geboren und findet auch ihren letzten Frieden hier. Ich kenne die Wander- und Radwege hier in der Umgebung seit ich denken kann, nutze und genieße sie.
Ja, sie kann nicht nur, sie sollte sogar! Veränderung gehört zum Lauf unseres Lebens dazu. Niemand könnte dies besser bestätigen als ich. Ich bin mit 33 Jahren schwer an Krebs erkrankt. Dabei stand für mich mein gesamtes Leben von einem auf den anderen Tag Kopf. Eineinhalb Jahre Therapien und Operationen veränderten nicht nur unser Leben in der Familie, sondern insbesondere meinen Glauben, mein Weltbild und zu guter Letzt auch mein soziales Umfeld. Während früher vorrangig die Familie einen Großteil meines Heimatgefühls ausmachte, kann ich heute sagen, dass nichts, was man sich im Außen erschafft irgendetwas mit Heimat zu tun hat. So zerbrach unsere Familie an unserer Lebenslage. Mein Mann und ich waren zuletzt einfach nicht mehr auf einer Ebene, haben uns vollkommen verschieden wahrgenommen und unsere Wege haben nicht mehr zusammengepasst. Mit dieser Veränderung durfte ich auch meine Definition von Heimat neu ordnen. Dennoch bin ich dankbar für die Zeit, die wir zusammen hatten.
Vielleicht ist damit etwas besser nachvollziehbar, was ich mit Heimat als Gefühl in mir selbst meine. Meine ganz persönliche Heimat ist ein Ort der Wärme, Geborgenheit und Liebe in meinem Herzen. Ein Ort, der sich verbinden kann mit allem Sein und seine Form und Farbe im Fluss des Lebens verändert.
Ist deine Heimat unverbesserlich?
Was die persönliche Heimat betrifft, glaube ich, dass alles zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und so war mein Gefühl von Heimat damals richtig, so wie es das auch heute ist. Wenngleich die beiden verschiedener nicht sein könnten. Zu meiner Heimat „Südthüringen“ habe ich eine andere Auffassung. Ich würde es mit den Worten „Da geht noch was!“ umschreiben. Vieles ist schon echt gut hier, aber die meisten richtig guten Sachen, sind oft mit viel Aufwand und Eigeninitiative auf die Beine gestellt und die Initiatoren kämpfen mit harten Bandagen. Politisch sind wir mittelalterlich vernetzt und was die Umwelt angeht, ich sage es nur ungern, aber wenn ich in der Natur unterwegs bin, bin ich immer wieder erschrocken, wie viele Menschen ihren Müll achtlos in eine so reiche und unvergleichliche Natur werfen ohne dabei zu bedenken, dass sie unseren Lebensraum bildet. Unser kollektives Bewusstsein für unsere Heimat und ein gutes Zusammenspiel zwischen Politik, Vereinen und Bevölkerung darf wachsen. Dies wünsche ich mir von ganzem Herzen für unsere Heimat, aber auch für die Heimat all der anderen da draußen und die Heimat in den Herzen unserer Mitmenschen!
Ich denke, es sind die Menschen, die es beleben. Jede Region ist so gut, wie die Menschen, die darin leben. Ohne den Menschen als solchen überzubewerten oder arrogant klingen zu wollen. Wenn wir unsere Natur hier nicht so lieben würden, würden unsere Wälder und Landschaften irgendwann nicht mehr existieren. Die Natur braucht uns und wir brauchen die Natur. Sie bedarf unseres Schutzes und unserer bewussten und liebevollen Hingabe. Hierzu fällt mir direkt die geplante Südlinktrasse ein, die irgendwelche Vollpfosten, die eben keine Anbindung und Heimat haben, quer durch unser schönes Ländle jagen wollen. Oder der Verfall unseres prachtvollen Schloss Landsberg, welches vor einigen Jahren durch unbedachte politische Entscheidungen in die Hände chinesischer Privatleute geraten und nun weder für die Öffentlichkeit zugänglich ist, noch vorm endgültigen Verfall gerettet wird. Aber, um es positiv abzuschließen, gibt es hier so unsagbar heimatverbundene und naturliebende Menschen, die unsere Region lebenswert und einzigartig machen. Schauen wir nur auf das thüringische Rhöngymnasium, welches federführend an Umweltprojekten beteiligt ist; unseren Schwimmbadverein Rippershausen, der mit einer geringen Anzahl an Mitgliedern und so viel Eigeninitiative das kleine Bad für unsere Kinder zu erhalten versucht; den NaBu Meiningen, der hier einzigartige Naturevents für Kinder anbietet; meine Schwester, die vollkommen zeitgemäß Yoga mit der Natur verbindet und zauberhafte Waldbaden-Events entstehen lässt, den Menschen, die danach dursten, den Zugang zu unserer inneren und äußeren Natur wieder nahebringt. Um Heimat für sich zu finden und ihre Einzigartigkeit wahrzunehmen, braucht es mehr als eine Werbekampagne, die sich „Prachtregion“ nennt. Ich persönlich fände es wichtig, unsere Kinder, die Erben dieser Region, für unsere Natur und Kulturschätze zu begeistern und damit Wachstum und Erblühen als Zukunftsmusik zu sichern.
Nun sind wir ja doch gedanklich mehr bei der äußerlichen Heimat gelandet. Was mich mit dieser verbindet sind Kraftorte wie der Windfang am Fuße des Melkerser Felsens, an dem ich im Sommer sehr gerne meine Hängematte aufspanne und dem Sonnenuntergang lausche. Die Kirchenburg in Walldorf gehört unbedingt auch dazu. Hier bin ich getauft, konfirmiert, habe meine Kinder- und Jugendzeit verbracht und gestalte auch heute gerne noch mit. Ein weiterer und letzter Lieblingsort und Kraftquelle ist ein kleines Bänkchen auf einer Lichtung am Esch. Schon als Kinder sind wir da, sonntags, mit unseren Eltern hingelaufen und auch heute ist es ein Ort des Rückzugs und der friedvollen Stille für mich.
Erschienen in der Ausgabe 05/2021 (zum Heftarchiv).