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Heimatjournal
01 März, 2022

4 Min. Lesezeit

Francis Storandt

„Ich habe mehr als eine Heimat ...”

Ich wurde 1992 in Schmalkalden geboren. Aus meiner Kindheit habe ich viele Erinnerungen aus dem Tierpark Suhl. Die Bären, die Eulen und natürlich das Reptilienhaus konnte ich nicht oft genug sehen. Eine meiner Omas hat zu dem Zeitpunkt noch in Suhl gelebt und gearbeitet, dort war ich oft zu Besuch. Ansonsten bin ich auf dem Dorf groß geworden. Ich bin wahrscheinlich eine der letzten der Generation „draußen spielen bis die Straßenlampen angehen“. Doch meine Eltern verreisten auch gerne und so kann ich mich an viele Urlaube in Italien, Ungarn oder Griechenland erinnern. Wahrscheinlich hat das auch meine eigene Reiselust geweckt.

© Kati Schulz


Steckbrief
Name: Francis Storandt
Wohnort: Rosa
Alter: 29 Jahre


Nachdem ich 2008 an einem Schüleraustausch in die USA teilgenommen hatte, stand für mich fest: Dahin muss ich zurück! Nach dem Abitur bin ich Ende 2010 als Au-pair nach Amerika (Auf dem Foto rechts bin ich in Colorado zu sehen. Hier habe ich acht Monate gelebt). Ursprünglich sollte es ein Jahr werden, tatsächlich – und sehr zum Leid meiner Familie – waren es dann über vier. Mein Sohn Hunter wurde 2013 in Washington, D.C. geboren und im März 2015 wurden wir dann wieder unter FREUDENtränen in Rosa empfangen. Für mich war es erstmal ein großer Kulturschock. Ich kann mich erinnern, dass ich die ersten Nächte kaum schlafen konnte, weil alles so dunkel und ruhig war – das war ich aus Washington nicht gewöhnt, da war immer etwas los und die Stadtlichter leuchteten hell. Das Schlimmste für mich und womit ich heute noch zu kämpfen habe, sind aber die Ladenöffnungszeiten. In den USA ist es nicht unüblich, dass Supermärkte rund um die Uhr geöffnet sind und das auch sonntags.

Ich hatte im Land der unbegrenzten Möglichkeiten meine zweite Heimat gefunden, denn schließlich habe ich hier meine erste Zeit auf eigenen Beinen verbracht. Viele prägende Erlebnisse und Erinnerungen stammen aus dieser Zeit und mein Sohn ist dort geboren. Sein Vater und dessen Familie leben heute noch in meiner zweiten Heimat.

Bevor ich wieder zurückkam, war mir gar nicht bewusst, wie wichtig Südthüringen für mich war. Das war ich, das bin ich und ein Teil von mir wird es immer sein, es ist ein Stück meiner Identität. Meine Familie hat mich hier aufgefangen. In den ersten beiden Jahren nach meiner Rückkehr habe ich aber auch innerlich sehr mit mir gerungen, denn die USA fühlte sich mehr nach Heimat an als Rosa, wo wir zusammen mit meinen Großeltern leben. Mittlerweile kann ich sagen: Ich habe zwei Heimaten. Und das fühlt sich gut so an.

Diese zwei Heimaten verbinde ich hier, so gut wie möglich. In den vergangenen Jahren habe ich unter dem Schulamt Südthüringen als Englischlehrerin an einer Regelschule gearbeitet, mittlerweile gebe ich private Nachhilfestunden für Jung und Alt.

Meine Verbindungen zu den USA sind stark, ich habe viele Freunde und Bekannte dort, sowie natürlich die Familie meines Sohnes. Außerdem habe ich mich in den letzten Jahren intensiv mit dem amerikanischen Justizsystem beschäftigt und setze mich für Gefangenenrechte ein. Die Strafen und Vorgehensweisen, die dort passieren, sind für uns in Deutschland unvorstellbar.

Innerhalb der USA und auch nach meiner Rückkehr in Begleitung meines Sohnes, bin ich viel gereist.

Doch für mich kommt nichts an die Schönheit der Vorderrhön heran. Noch heute, nachdem ich viele Jahre wieder zurück bin, begeistern mich die malerischen Wälder und Wiesen hier. Die vielen Ausflugsziele der Gegend, wie Pleß, Bernshäuser Kutte, Point Alpha, Noahs Segel oder der Gersfelder Wildpark sind beliebte Orte für Hunter, mich und meine Familie.

Als ich Ende 2020 meine eigene Kerzenmanufaktur gründete, suchte ich auch den Bezug zu Südthüringen. Und schnell war ein einschlägiger Name gefunden – Die Rhön Kerze. Ein Kiefernwald in der Nähe von Rosa, in dem ich viele Spaziergänge verbrachte, inspirierte mich zu dem Logo der drei Tannen. Meine handgegossenen Duftkerzen aus Sojawachs haben mittlerweile einen eigenen Onlineshop und sind in einigen Einzelhandelsläden der Region zu finden.

So wie ich mich für mein „amerikanisches Zuhause“ einsetze, tue ich es aber auch für mein deutsches. In der Vergangenheit habe ich Kleiderbasare organisiert, bei denen ein Teil der Erlöse an örtliche Kindergärten gespendet wurde. Mittlerweile bin ich als Schulelternsprecherin meines Sohnes an der Grundschule in Roßdorf aktiv. Aktuell herrschen rege Diskussionen über das Schulnetz im Landkreis Schmalkalden-Meiningen und wir engagieren uns stark für eine Sanierung und Digitalisierung der Schule.

 

Zusammenfassend kann ich also sagen, dass in meiner Brust zwei Herzen schlagen. Und das finde ich schön. Denn Heimat muss nicht immer nur ein einziger Ort sein.

© Text + Fotos New York/Colorado: Francis Storandt, Foto Kerzen: Kati Schulz

Erschienen in der Ausgabe 03/2022 (zum Heftarchiv).